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Genussgedanken von Matthias Grenda

Kulturfarmer

Genussgedanken zum Donnerstag, dem 19.03.2020

Ich bin heute Morgen in meine Vorratskammer gegangen und habe mir die Bestände der Lebensmittel angeschaut. Nicht schlecht, ist mein promptes und zufriedenes Fazit. Mit dieser Anzahl von Pasta Packungen, Dosen mit Tomatenstückchen, ok, auch die ein oder andere Fertigsauce ist dabei, diverse Dosensuppen, Fischkonserven, Gläser mit Bohnen, dicken Bohnen, Tüten mit Reis, Essig und Öl etc. lässt sich wohl ein paar Wochen aushalten. Auch der Schrank mit Gewürzen, also vor allem Salz und Pfeffer, ist gut bestückt. Da merkt man doch gleich das Erbe einer ostpreußischen Flüchtlingsfamilie. Dann fällt mein Blick allerdings auf die Ecke, wo Kartoffeln, Zwiebel, Scharlotten, Knoblauch, Mehl, Zucker, Eier und die länger haltbaren Frischwaren liegen, die nicht im Kühlschrank lagern müssen. Nun ja, hier muss ich wohl noch ein wenig nachbessern. Fast geht mir ein Schmunzeln über das Gesicht bei dem Gedanken, dass ich aus einer Kartoffelfamilie stamme. Kartoffelfamilie? Ja, bei uns zuhause gab und gibt es eigentlich bei jeder warmen Mahlzeit Kartoffeln, egal in welcher Form oder Zubereitung.

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Meine Mutter stammt aus Danzig, mein Vater aus der Nähe von Königsberg, also Ostpreußen. Vor allem in der Familie meiner Mutter spielte die Kartoffel, nach dem Krieg wohl auch die große Sehnsucht nach Kartoffeln, eine besonders große Rolle. Fast ungläubig lauschten wir als Kinder den Geschichten meiner Mutter von Flucht und Vertreibung. Zusammen mit meiner Großmutter, so die Legende, kam sie auf dem letzten Pferdewagen aus dem brennenden Danzig heraus und floh bis nach Schleswig-Holstein. Dort wurde man bei vollkommen fremden Menschen einquartiert, die einen nachts auf der Dachkammer ohne Bad oder Toilette einschlossen, aus Angst man könne an die Vorratskammer gehen. Oft gab es nur übriggebliebene Kartoffelschalen von den „Gastgebern“, die dann zu einer Suppe ausgekocht wurden. Verständlich, dass der Erdapfel zu einer paradiesischen Verheißung wurde und meine Mutter voller Hingabe zu jeder warmen Mahlzeit Kartoffeln kocht, brät oder backt. Und ja, die schnöde Kartoffel kann zu einem kulinarischen Gedicht werden, bei aller Einfachheit. Erschrocken hat mich vor Jahren dann der Spruch meiner Mutter auf die Frage, was sie nie wieder erleben möchte: „Hunger, ich möchte nie wieder Hunger haben müssen!“

Ich schäme mich ein wenig mit meinem zufriedenen Blick auf meine Vorratskammer und die Gedanken an die allgegenwärtigen Hamsterkäufe und meine Vorsorge und die Ängste der Bevölkerung, es könnte nicht mehr genug zu essen geben. Denke ich dann an die Bilder von übervollen Einkaufswagen und die vielfältigen Packungen tiefgefrorener Pizzen und Fertiggerichte, beschleicht mich sogar ein gewisses Wutgefühl. Wir haben so vieles verlernt, vor allem auch Dankbarkeit den einfachen Dingen gegenüber. Ich werde am Samstag noch einmal auf den Wochenmarkt gehen und beim örtlichen Landwirt Kartoffeln kaufen, definitiv mehr als nur zwei Kilo und freue mich auf deren Zubereitung. Wenn das keine Genussgedanken sind, sich auszumalen, was ich alles an Leckereien aus den Kartoffeln zaubern kann. Und, kochen hat ja auch etwas Meditatives und genug Zeit ist ja momentan eh. Ich werde dabei auch an meine Mutter denken, wie sie in ihrer Küche steht und ebenfalls Kartoffeln zubereitet. Das Gleiche gilt auch für Dich. Du musst es nur tun.

Also, Dir einen schönen Genusstag und bleib gesund!

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