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Genussgedanken von Matthias Grenda

Kulturfarmer

Genussgedanken zum Montag, dem 04.05.2020

Ich war heute Morgen auf der Waage und bin ziemlich stolz, ich habe mein Gewicht halten können, trotz Corona und der ständigen Versuchung durch die Heimarbeit und Nähe zum Kühlschrank. Die Bedenken der letzten Wochen waren stetig gewachsen. Der morgendliche Gang ins Bad mit Nervosität gepaart. Ich zierte mich, mal wieder auf das mit Reißzwecken bebilderte Gerät zu steigen, um zu erfahren, ob die hart abtrainierten fünf Kilo durch die Bewegungslosigkeit der Krise verspielt wurden. Ok, abtrainiert ist vielleicht der falsche Ausdruck. Ich habe in den Monaten vor dem Virus einfach disziplinierter gegessen und das ein oder andere typisch deutsche Lieblingsgetränk, wie Bier, weggelassen. Und, was soll ich sagen, mein Bauch ist nicht weg, aber tatsächlich flacher geworden in den letzten zwölf Monaten. Die alte und lang umkämpfte Demarkationslinie von 90 Kilo wurde endlich wieder unterschritten und so blieb es auch. Klar, ein wenig Sport wäre sicherlich zusätzlich hilfreich gewesen, aber das ist dann doch zu viel der Disziplin.

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Insgesamt bin und war ich eigentlich immer ganz zufrieden mit meiner körperlichen Konstitution. Klar ist das, nur mit Badehose bekleidet, stolze am Körper Hinunterblicken der früheren Freibadtage aus Jugendzeiten vorbei… jenes absolut fit und agil sein der Sportvereinszeit… die kämpferische Kraft und Schonungslosigkeit der militärischen Phase… oder das etwas eitle Eisenpumpen vor dem großen Spiegel der Fitnesstempel gesättigter Jahre… Ja klar, Rettungsversuche kamen und gingen ebenfalls im Laufe der Zeit, je nach Lebenssituation und Überzeugung. So ein bisschen war das wie mit dem Rauchen, die Lust verführt, die Sucht quält und der Verstand treibt dich so lange, bis etwas passiert. Wäre da nicht dieser alte und leider auch wahre Spruch: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. So wird der Blick, gerade in Hotelzimmern, wo die Spiegel komischerweise immer so hängen, das man sich beim Abtrocken in seiner ganzen Pracht betrachten muss, kritischer, die Vorsätze größer… bis man dann am Frühstücksbuffet steht und alles wieder zu vergessen scheint.

Ich war 27, als ich in die USA zog, wog 78 Kilo, was normal ist bei 1,81 m Größe. Sieben Jahre und haufenweise Burger und Coca Colas später, ich lebte ja in Atlanta, wo die berühmte braune Brause herkommt, kehrte ich mit zehn Kilo extra nach Europa zurück. Das viele im Auto sitzen und von A nach B fahren, statt zu laufen, tat in der Phase sein Übriges. Das amerikanische Leben kennt eigentlich nur zwei Kategorien bezogen auf Körperform und Fitness: Fressen und dick sein oder Sport machen und ein Asket bleiben. Bei beidem ist das Land, besser sind die Menschen dort extrem. Natürlich auch in anderen Dingen. Mit Mitte 30 und einem erfolgreichen beruflichen Leben war es dann schwer, die überschüssigen Kilos wieder zu verlieren. Und auch das Interesse an Sport lässt bekannter weise ab einem gewissen Alter nach. Ab 50 gleicht es dann schon einem Aufgeben, haben doch auch die letzten Rettungsversuche nicht wirklich etwas gebracht und die Verführungen des guten Lebens bleiben einfach zu groß und übermächtig. Gerade als Genießer ein anstrengendes Wechselspiel. Vielleicht ist das aber auch in meiner Herkunftsfamilie begründet…

Bei uns zuhause gab es sonntags bei Kaffee und Kuchen immer diese zwei Sprüche: „Ab Morgen ist das mit dem Schlemmen wieder vorbei“ und „Heute Abend esse ich dafür kein Abendbrot“. Es wurde natürlich beides nie befolgt, wer konnte schon Nein sagen bei den leckeren und kunstvoll belegten Schnittchen meiner Mutter. Und eigentlich gibt es auch unter der Woche immer einen Grund für ein Stückchen Kuchen, nur die selbstgebackene Apfeltorte, die exklusiv am Wochenende serviert wurde. So viel zum Thema Konditionierung, Vorbildfunktion und Langzeitwirkung von Erziehung. Ja, es ist wahr, ich komme aus einer Genussfamilie, was sehr schön ist, aber eben auch entsprechende Konsequenzen zur Folge hat. Über die Jahre des Erwachsenseins habe ich mir natürlich ein paar Tricks der Selbstbeherrschung beigebracht, die alles in einem gewissen Gleichgewicht aus Disziplin und Genuss halten, was es durchaus erträglich macht. Schließlich möchte ich ja auch nicht mehr bei den Olympischen Spielen antreten und der Illusion des gesunden Sterbens mit fast 100 bin ich auch nicht erlegen. Wirklich große Bedenken habe ich nur vor dem Wiedersehen mit meiner Familie nach der Verwehrung des gemeinschaftlichen Genusses. Denn es gibt einen weiteren legendären Spruch in unserer Familie, wenn wir in geselliger Runde eine weitere Flasche Wein öffnen: „Wir müssen sie ja nicht austrinken“. Schaffen wir nie… Das Gleiche gilt auch für Dich. Du musst es nur tun.

Also, Dir einen schönen Genusstag und bleib gesund!

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