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Genussgedanken von Matthias Grenda

Kulturfarmer

Genussgedanken zum Samstag, dem 16.05.2020

Es ist schon unglaublich, wie das Gehirn in Kombination mit dem Unterbewusstsein manchmal Menschen aus der Vergangenheit wieder ins Gedächtnis zaubert, ohne dass es einen Anlass dafür gäbe. Ich musste heute Morgen an den lange verstorbenen Freund Peter denken, ein echter Paradiesvogel, einer dieser wunderbaren Exzentriker, die unserer Gesellschaft und Kultur so wichtige Impulse liefern. Leider ist Peter vor über 20 Jahre mit Mitte 60 in seiner Wahlheimat Los Angeles verstorben. Kennengelernt hatten wir uns über einen befreundeten Fotografen in Hamburg. Dort betrieb Peter eine künstlerische Poster- und Postkartengalerie, mit der er einer der Wegbereiter für diverse heute berühmte Fotografen und Künstler wurde und z.B. dafür sorgte, dass Fotokunst heute in fast jedem Haushalt oder auch in Cafés und Restaurants hängen. Sein Netzwerk war so beeindruckend, wie seine Lebensgeschichte und seine diversen Talente. Selbst bekannt geworden war Peter in den 1960igern als männliches Model zu Hochzeiten der großen Couturiers, also Modeschöpfer, wie Yves Saint Laurent, mit dem ihn eine Freundschaft aber wohl auch mehr verband. Später wechselte Peter in den Kunstbereich, hasste aber den Kommerz, was mich immer stark beeindruckte. Er war ganz Inhalt, nicht Struktur, beeindruckend.

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Peter war mit seinen künstlerischen Postkarten und Postern auf allen wichtigen Kunstmessen der Welt vertreten. Während andere einen großen Messestand bauen ließen, kam Peter mit einem Tisch und einem Stuhl aus. Trotzdem tummelte sich die gesamte Kunstprominenz bei ihm. Peter hielt Audienz, parlierte fließend in sieben Sprachen mit diesem und jenem, schrie auch schon mal quer durch die Halle, um jemanden zu begrüßen. Viele Künstler und Fotografen suchten seinen Rat, präsentierten ihre Mappen. Der Preis seiner Beratung war das eine oder andere Kunstwerk als Entlohnung. Aus manch einem der Künstler ist ein internationaler Star geworden. Auch wenn einige sich später nicht mehr an ihn und seinen wichtigen Rat erinnern wollten, blieben doch ihre Werke und Peters Sammlung wuchs. Es war immer wie das Betreten einer Schatzkammer des „Who is who“ der kreativen Welt, wenn man Peter besuchte und sich umsehen durfte. Natürlich blieben auch viele als Freunde verbunden mit ihm und so wusste man nie, wer gerade sonst noch so bei Peter vorbeischaute. Da konnte schon mal Helmut Newton in der Hamburger Küche sitzen und genüsslich den von Peters alter ostpreußischen Haushälterin gebackenen Quarkstollen futtern oder in Los Angeles der damals noch unbekannten Leonardo di Caprio homoerotische Fotos von André Ostier bestaunen sehen.

Ich wurde, obwohl ich nicht schwul bin, einer von Peters Jungs, die er herausforderte und pushte, was das oft noch verborgene Talent anbetraf. Peter und ich waren leidenschaftliche Geschichtenerzähler und unsere gemeinsamen Tage und Abende sprühten geradezu vor Energie. Peter ermutigte mich, zu schreiben und gab mir kleine Aufträge, meist Porträts in Worten für sein in Fachkreisen bekanntes Kunstmagazin. Er kreierte und produzierte nur ein bis zwei Ausgaben im Jahr, je nachdem wie schnell er das Geld für den Druck und die Honorare zusammen bekam. Jedes Heft war einzigartig, ein Sammelsurium von spannenden Menschen und Geschichten, ungewöhnlich layoutet und künstlerisch anspruchsvoll, mehrsprachig und immer eine Mischung aus namhaften Fotografen, Künstlern und unbekannten Schreiberlingen wie mir, oder auch umgekehrt. Da konnte es schon mal sein, dass Karl Lagerfeld eine Ausgabe gestaltete und Marlene Dietrich das Heft finanzierte. Die Großen und Paradiesvögel der Welt kannten sich schließlich… Peter hatte in New York sogar einige Jahre in einer Wohngemeinschaft mit Grace Jones gelebt. Herrlich waren seine Geschichten, wie er von der nervigen Nachbarin Barbra Streisand berichtete.

Ich könnte jetzt mehrere Seiten mit Anekdoten füllen, will mich aber auf eine Begebenheit beschränken. Als Peter nach Los Angeles gezogen war und mit hunderten von gelben Kanarienvögeln in einem kleinen Haus mit Garten residierte, besuchte ich ihn. Irgendwie hatte ich mir im Flugzeug eine starke Erkältung eingefangen, es ging mir bei meiner Ankunft richtig schlecht. Peter war natürlich besorgt, schließlich war ich einer seiner Jungs, und kramte in der Vorratskammer… irgendwo hätte er noch eine Flasche Klosterfrau Melissengeist… Stolz kam er mit einem Esslöffel mit gehäuftem Zucker und der Flasche an mein Bett. Hastig schluckte ich die Medizin, um mich sofort in einem großen Schwall zu übergeben. Peter hatte Salz mit Zucker verwechselt. Das brannte vielleicht… Am nächsten Tag war ich allerdings wie von Wunderhand genesen. Ach Peter, Du alter guter Freund und Paradiesvogel, was waren das für Zeiten. Wirklich große Vorbilder gibt es nicht mehr so viele heute, wo Kommerz über Kunst und Kultur regiert. Ich muss wohl wieder mehr Salz in die gesellschaftlichen Wunden streuen… Das Gleiche gilt auch für Dich. Du musst es nur tun.

Also, Dir einen schönen Genusstag und bleib gesund!

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