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Genussgedanken von Matthias Grenda

Kulturfarmer

Genussgedanken zum Montag, dem 27.04.2020

Da ich ja im Moment, wie eigentlich die ganze restliche Welt auch, nicht reisen kann, meine große Zeit der Fernreisen ist eh aus Gründen, die ich gleich erläutern werde, vorbei, bin ich gedanklich umso mehr unterwegs und betrachte teils mit großem Erstaunen meine persönlichen Erlebnisse, das sich verändernde Wesen der Entdeckung, die Kommerzialisierung von Abenteuer und das Verschwinden von Vielfalt. Natürlich trieb mich früher die Neugier und Wissbegierde in die Welt hinaus, galt es doch so viel zu entdecken, auch an mir, was so ganz anders war, als ich es von Zuhause aus gewohnt war. Das hat etwas mit mir gemacht, mir den Horizont geöffnet und mich das kritische Hinterfragen gelehrt. Zusätzlich habe ich zehn Jahre im Ausland gelebt, was mir einen noch besseren Einblick in verschiedene Kulturen und Lebensweisen ermöglichte. Das Ergebnis ist eine ganz persönliche Mischung von Überzeugungen, der Integration verschiedenster Mentalitäten und ein gewisses Selbstverständnis im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturkreisen. Mit Erschrecken stelle ich allerdings heute fest, dass jüngere Generationen diese Erfahrungen in der Form nur noch bedingt werden sammeln können. Das um sich greifende Phänomen „von allem zu viel und überall das Gleiche“ verwehrt es ihnen.

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Vorbei ist die Zeit, wo man sich fast diebisch auf den Trip in die USA freute, um eine bestimmte Original Jeans, Turnschuhe, Unterhosen einer bekannten Marke zu erwerben oder Schuhe und Anzüge nur in Italien kaufte. Wer konnte sich schon den Maßschneider in England leisten? Die Reise nach Frankreich war automatisch mit einem umfangreichen Wein- und Käseeinkauf verbunden, so dass sich manch deutscher Grenzbeamter bei Wiedereinreise empört die Nase zuhielt. Nein, ich hatte mir nicht in die Hose gemacht, es waren die besten Käsesorten, die die verschiedenen Regionen des Landes zu bieten hatten, während die meisten Menschen in Deutschland zu der Zeit nur zwei Sorten Schnittkäse kannten, mit und ohne Löcher. Für den Genussmenschen kamen solche Entdeckungsreisen oft einem Wunder gleich und man genoss mit Freunden die Erfahrungen bei langen Abenden mit Erzählungen und dem gemeinsamen Degustieren des Mitgebrachten. Gut, natürlich war man auch ein wenig stolz dabei, auf das außergewöhnliche Paar Schuhe oder den englischen Trenchcoat… man fühlte sich wie Humphrey Bogart in der legendären Abschiedsszene von „Casablanca“. Heute gibt es alles jederzeit und überall, aber leider nur noch selten in der Qualität von damals.

Da sind wir wieder bei der Sehnsucht der Menschen von heute nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung, getrieben von ausgeklügelten Geschäftsmodellen weltweiter Konzerne, die letztendlich jede Einkaufsstraße, egal wo auf diesem Planeten, gleich aussehen lassen. Die Digitalisierung ist da eher ein zusätzlicher Brandbeschleuniger, gaukelt individuelle Erlebniswelten nur noch vor, vom Schreibtisch aus den Amazonas entlang, ohne nass zu werden. Die Piranhas heutzutage brauchen aber kein Wasser mehr. Die Welt ist monoton geworden, die Angebote größtenteils langweilig und die Menschen derart uniform, dass man Individualität eigentlich nur noch als ein gefühltes, vorgegaukeltes aber unerfülltes Prinzip beschreiben kann. Natürlich gilt das nicht für alle, aber wohl für die breite Masse.

Das zeigt sich auch in der Art und Weise, wie wir uns ernähren. Es ist kein Zeichen der viel gepredigten Vielfalt, wenn Dank globaler Player das Sortiment an Obst und Gemüse letztendlich immer kleiner und gleicher wird. Einige wenige Konzerne kontrollieren mittlerweile über Patente und als Rechteinhaber sogar, welche Sorten an (finanziell) ertragreichen Kartoffeln überhaupt noch angebaut werden dürfen oder verhindern den Anbau alter Getreidearten mit zweifelhafter politischer Unterstützung und fadenscheinigen Bestimmungen. Eigentlich ein menschenverachtendes Verhalten, unter dem Deckmantel angeblicher Weltgesundheit und der Verheißung von Luxus für alle mit immerwährender Verfügbarkeit. Vielfältig und gesund ist anders, lecker ebenfalls.

Das Abenteuer ist irgendwie vorbei, außer für die Menschen in entlegenen Regionen, die sich mit ganzen Armeen von Glücksuchern konfrontiert sehen, die überall rumtrampeln, vor lauter „Knipserei“ und „Posterei“ mit ihren Smartphones aber nichts sehen, hören, riechen und schmecken, letztendlich sogar enttäuscht sind, wenn sie nicht das vorfinden, was sie von Zuhause aus gewohnt sind. Also bei uns daheim schmeckt die Paella aber anders… Oft schäme ich mich bei diesen Gedanken, es sind dann keine Genussgedanken. Vielleicht ändert sich das ja nach der Krise ein wenig. Obwohl… nun ja… Ich jedenfalls muss nicht alles, was die Welt zu bieten hat, permanent und jederzeit genießen können. Natürlich ist das eine persönliche Präferenz und Entscheidung. Das Gleiche gilt auch für Dich. Du musst es nur tun.

Also, Dir einen schönen Genusstag und bleib gesund!

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